Mit dem Inkrafttreten der WpIVergV am 12. Januar 2024 haben Gesetzgeber und Aufsicht wieder einmal einen vorläufigen Schlusspunkt bei der Regulierung der Vergütungssysteme in Finanzunternehmen erreicht. Die WpIVergV stellt das Kernstück der neuen Vergütungsregulierung für mittelgroße Wertpapierinstitute dar. Insgesamt bringt sie im Vergleich zu den bisherigen Vorgaben der InstitutsVergV wesentliche Erleichterungen.
Die finale WpIVergV bringt im Vergleich zum Konsultationsentwurf neue Verschärfungen. Diese betreffen insbesondere die aufgeschobene Auszahlung der variablen Risk Taker-Vergütung sowie die Ausgestaltung der variablen Vergütung für die Gruppen-Risk Taker. Für die Umsetzung der zentralen Handlungsfelder aus der WpIVergV werden den Unternehmen großzügige Übergangsfristen eingeräumt.
Compgovernance sieht für die Vergütungspraxis durchaus noch Unklarheiten zu wesentlichen Einzelfragen. Umso mehr gilt es für die einzelnen Wertpapierinstitute im Rahmen der Umsetzung die eingeräumten Freiräume für intelligente Vergütungslösungen zu nutzen.
WpIVergV als Vergütungsrahmen für mittlere WpI
Im Rahmen der Investment Firm Regulation (IFR) und Investment Firm Directive (IFD) hat der EU-Gesetzgeber schon im Jahr 2019 einen eigenen Aufsichtsrahmen für Wertpapierinstitute (WpI) geschaffen. Damit soll den Besonderheiten von WpI stärker Rechnung getragen werden. Auch sollen kleine und mittelgroße WpI im Vergleich zu den Vergütungsanforderungen für CRR-Kreditinstitute entlastet werden.
Für die WpI in Deutschland gilt der neue Aufsichtsrahmen mit seinen differenzierten Vergütungsanforderungen bereits seit Ende 2021: Nur die größten WpI unterliegen weiter den Vergütungsanforderungen von KWG und InstitutsVergV. Für mittelgroße WpI gilt eine neue Vergütungs-Regulatorik gemäß Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG) und WpIVergV mit teilweisen Erleichterungen. Kleine WpI werden noch stärker entlastet, für sie finden lediglich die vergütungsbezogenen Anforderungen der MaComp (BT 8) Anwendung.
Mit dem Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG) vom 12. Mai 2021 hatte der Gesetzgeber bisher nur allgemeine Regelungen zu den Vergütungssystemen festgelegt (§§ 21, 44 und 46 WpIG). Die weiteren Konkretisierungen im Rahmen der WpIVergV war er bisher schuldig geblieben.
Langer Weg zur WpIVergV
Die WpIVergV setzt die detailbezogenen Vorgaben der Art. 30, 32 und 33 IFD um. Danach müssen mittelgroße WpI umfangreiche Vorgaben für die Gestaltung der Vergütungssysteme ihrer Risk Taker beachten. Betroffen ist insbesondere deren variable Vergütung. Außerdem müssen diese WpI im Aufsichtsgremium einen Vergütungskontrollausschuss einrichten, dessen Aufgaben gesetzlich definiert werden müssen.
Ein erster Entwurf für eine WpIVergV war von der Aufsicht bereits im Mai 2021 konsultiert worden (Konsultation 04/2021). Im Oktober 2022 folgte dann die zweite Konsultation eines deutlich überarbeiteten Entwurfsstands (Konsultation 07/2022). Erst am 11. Januar 2024 wurde die finale Version der WpIVergV verkündet, die unmittelbar in Kraft getreten ist – und auch in Englischer Sprache vorliegt.
Inhaltlich greift die WpIVergV weiter auf zahlreiche bekannte Grundprinzipien aus der InstitutsVergV für die Kreditinstitute zurück. Jedoch führt die sektorbezogene Ausgestaltung zu deutlichen Erleichterungen:
- Die WpIVergV sieht keine einheitliche gesetzliche Obergrenze für die maximale Höhe der variablen Vergütung (Bonus Cap) vor. Eine Obergrenze wird zwar von allen WpI gefordert, sie betrifft aber nur deren Risk Taker und ist in ihrer Höhe von jedem Unternehmen nach geschäfts- und vergütungspolitischen Intentionen angemessen festzulegen.
- Bis zum Erreichen definierter Schwellenwerte auf Institutsebene (Bilanzsumme, weiteren Risikomerkmale) sind die inhaltlich komplexen Anforderungen an den Vergütungskontrollausschuss und die aufgeschobene Auszahlung der variablen Risk Taker-Vergütung (inklusive Instrumente, Malus- und Clawback-Regelungen) vom WpI nicht anzuwenden (§ 44 Abs. 3 WpIG, § 10 Abs. 1 WpIVergV).
- Unabhängig von den Erleichterungen auf Institutsebene kann die Aufschiebung auf individueller Ebene des Risk Takers entfallen. Voraussetzung ist, die für ein Jahr gewährte variable Vergütung überschreitet nicht die Materialitätsschwelle von 50.000 Euro und ¼ der Gesamtvergütung (§ 10 Abs. 2 WpIVergV).
Neuerungen der finalen WpIVergV
Gegenüber der letzten konsultierten Entwurfsversion bringt die finale WpIVergV neben redaktionellen Verbesserungen und rechtstechnischen Anpassungen auch weitere inhaltliche (Ver-)Schärfungen:
- Die Erfolgsgrundlagen für die Festsetzung der variablen Vergütung müssen mindestens über einen Bemessungszeitraum von 1 Jahr beurteilt werden (§ 8 Abs. 1 WpIVergV). Damit werden in der Vergütungspraxis unterjährige Abschlags- oder Vorauszahlungen auf den Jahresbonus endgültig obsolet.
- Jedes WpI hat in seinem Vergütungssystem einen Schwellenwert für die besonders hohe variable Vergütung festzulegen, ab dem mindestens 60% aufzuschieben sind. Der Schwellenwert beträgt maximal 500.000 Euro (§ 8 Abs. 5 WpIVergV).
- Die als Teil des aufgeschobenen Auszahlungsmodells für die variable Vergütung verwendeten Instrumente müssen den Wert des WpI nachhaltig widerspiegeln. Sofern diese Instrumente keinen Börsenkurs oder Marktwert haben, ist eine regelmäßige Wertermittlung der Instrumente zu vorgegebenen Zeitpunkten vorzunehmen. Obligatorisch ist eine Wertermittlung bei Festsetzung der variablen Vergütung, bei Erlangen der Anwartschaft auf einen zurückbehaltenen Vergütungsanteil und zum Ende der Sperrfrist (§ 8 Abs. 3 WpIVergV).
- Bei der Verminderung oder Rückzahlung der variablen Vergütung durch Malus- und Rückforderungsregelungen ist das Finanzergebnis des WpI zu berücksichtigen. Bei einem schwachen oder negativen Finanzergebnis soll die variable Vergütung angemessen reduziert werden (§ 8 Abs. 6 WpIVergV).
- Grundsätzlich gelten für die Vergütungssysteme der Gruppen-Risikoträger die Vorgaben der WpIVergV entsprechend. Die Vorgaben zur Umsetzung der gruppenweiten Vergütungsstrategie und der Ermittlung von Gruppen-Risk Takern sind nicht anzuwenden auf nachgeordnete Unternehmen mit eigener sektoraler EU-Vergütungsregulierung (§ 18 Abs. 3 WpIVergV). Die Ausnahme gilt allerdings nicht für Gruppen-Risk Taker, die in einer Kapitalverwaltungsgesellschaft (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KAGB), EU-Verwaltungsgesellschaft (§ 1 Abs. 17 KAGB) oder ausländischen AIF-Verwaltungsgesellschaft (§ 1 Abs. 18 KAGB) tätig sind.
Die WpIVergV räumt den betroffenen WpI im Rahmen ihrer Übergangsvorschriften großzügige Zeiträume für die erstmalige Umsetzung der neuen Governance- und Ausgestaltungsvorschriften für die variable Vergütung der betroffenen Risk Taker ein (§ 19 WpIVergV).
WpIVergV in der Vergütungspraxis
Die finale WpIVergV begrenzt ihren Anwendungsbereich ausdrücklich auf die Vergütung der (Gruppen-)Risk Taker in mittelgroßen WpI bzw. WpI-Gruppen (§ 1 Abs. 1 und § 18 Abs. 2 WpIVergV). Betroffen sind also nur die Personen, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil des WpI (bzw. der WpI-Gruppe) oder die von diesem (bzw. dieser) verwalteten Vermögenswerte auswirkt (§ 2 Abs. 2 und 14 WpIVergV).
Für die nicht als Risk Taker eingestuften Mitarbeitenden kommen dagegen weiterhin die inhaltlich deutlich weniger differenzierten und weitreichenden Vergütungsanforderungen der MaComp (BT 8) zur Anwendung. Dabei treten die Anforderungen der MaComp (BT 8) grundsätzlich bei Kollision hinter die Anforderungen der WpIVergV zurück. Da sich diese inhaltlich aber nur auf den Personenkreis der Risk Taker im WpI erstrecken, bleibt der Anwendungsbereich des MaComp (BT 8) für die Nicht-Risk Taker unverändert. Da die MaComp-Vergütungsanforderungen von der Aufsicht derzeit parallel überarbeitet werden, bleiben etwaige Auswirkungen abzuwarten.
WpIVergV lässt zentrale Umsetzungsfragen offen
Trotz der handwerklich deutlich verbesserten finalen Fassung der WpIVergV bleiben aus Sicht von compgovernance für die Umsetzungspraxis Fragen zu zentralen Handlungsfeldern unklar:
Auf die Einrichtung eines Vergütungskontrollausschusses kann bei Unterschreiten der Schwellenwerte des § 44 WpIG verzichtet werden. In Analogie zur geltenden Aufsichtspraxis für Kreditinstitute ist jedoch davon auszugehen, dass in diesem Fall die Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Vergütungskontrollausschusses gemäß § 18 WpIVergV vom Aufsichtsgremium selbst wahrzunehmen sind.
So genannte privilegierte Abfindungen (insbesondere solche bis 200.000 Euro) sind nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 4 WpIVergV von den finanzwirtschaftlichen Auszahlungsvoraussetzungen und der Obergrenzen-Regelung ausgenommen. Nicht jedoch von der aufgeschobenen Auszahlung nach § 8 Abs. 3 bis 6 WpIVergV. Sofern also ein WpI im Einzelfall nicht die Ausnahmen gemäß § 10 WpIVergV (Bilanzsumme < 100 Mio. Euro bzw. 300 Mio. Euro und/oder individuelle variable Vergütung kleiner 50.000 Euro) in Anspruch nehmen kann, können jegliche Abfindungen immer nur aufgeschoben ausgezahlt werden. Dies erscheint praxisfern und erschwert zweifellos das Ausscheidensmanagement.
Die Ermittlung von Gruppen-Risk Takern im aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis (Personen, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil der WpI-Gruppe auswirkt) nach § 18 Abs. 2 WpIVergV ersetzt grundsätzlich nicht die Ermittlung von Risk Takern auf Institutsebene (Personen, deren berufliche Tätigkeit das Risikoprofil des WpI wesentlich auswirkt) nach § 3 WpIVergV. Zwar gelten für die variable Vergütung der Gruppen-Risk Taker die Vorgaben der WpIVergV entsprechend, die Höhe der variablen Vergütung müsste sich inhaltslogisch und abweichend vom Wortlaut des § 8 Abs. 1 WpIVergV nicht nach dem Gesamterfolg des WpI, sondern abhängig vom Erfolg der WpI-Gruppe ergeben.
Die Schwellenwerte für die Erleichterungen bei den besonders komplexen und anspruchsvollen Anforderungen (Vergütungskontrollausschuss, aufgeschobene Auszahlung der variablen Risk Taker-Vergütung) sind nach dem Wortlaut des § 44 Abs. 3 WpIG immer auf Instituts- und nicht etwa auf Gruppenebene anzuwenden.
Einschätzung compgovernance
Die WpIVergV stellt als Kernstück der neuen Vergütungsregulierung für die mittelgroßen WpI dar. Die finale WpIVergV räumt den betroffenen WpI sachgerechte Erleichterungen bei den Vergütungssystemen ein. Im Hinblick auf die offensichtlichen Unklarheiten bei einzelnen wesentlichen Umsetzungsfragen sollte die Aufsicht möglichst zeitnah ihre Erwartungen hinsichtlich ihrer Aufsichtspraxis kommunizieren, um den WpI eine belastbare Grundlage für die bis spätestens zum Jahresende notwendigen Umsetzungen zu geben.
Bei der Umsetzung der WpIVergV für die Risk Taker ist auch die Anschlussfähigkeit mit den Vergütungssystemen für die weiteren Personengruppen im Unternehmen zu erreichen. In den klassischen Bankkonzernen mit nachgeordneten WpI gilt es zudem, die Durchgängigkeit der Vergütungsregelungen über die verschiedenen sektoralen Regelungsinseln im Konzern hinweg zu sichern.
Streng genommen sind nur die Geschäftsleiter und weiteren Risk Taker von der WpIVergV betroffen. Hierbei handelt es sich in der Praxis regelmäßig um die ca. 10 bis 15% der besonders erfolgskritischen Beschäftigten. Funktionierende variable Vergütungslösungen erfordern in der Praxis einen entsprechenden Wirkungszusammenhang mit den Vergütungssystemen für die Nicht-Risk Taker im Unternehmen. Damit erscheint eine breitere Anwendung zumindest der zentralen Vergütungsanforderungen der WpIVergV unausweichlich (z.B. Vergütungsstrategie, Bonus Cap, Erfolgsebenen sowie Ziel- und Messgrößen für die Leistungsmessung, Governance).
Regulatorik Knowhow bleibt erfolgskritisch
Die Breite und Tiefe der von den Regulatoren regelmäßig weiterentwickelten aufsichtsrechtlichen Vorgaben zur Angemessenheit der Vergütungssysteme in Finanzunternehmen erfordert einen zeitnahen Knowhow-Transfer für die Praktiker.
Wir beraten Sie gerne zu geeigneten Schulungs- und Tagungsangeboten zu den Neuerungen. Haben Sie Fragen? Vereinbaren Sie einen unverbindlichen Telefontermin mit Werner Klein unter info@compgovernance.de.